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Rockmusiker Wakartschuk positioniert seine «Golos»-Partei als Opposition im Kampf gegen ein präsidententreues Durchwinke-Parlament in der Ukraine

Der Anführer der kleinen pro-westlichen Reformpartei «Golos» (Stimme) betont im Gespräch seine Vision einer konstruktiven Opposition, die sowohl echte Reformen wie aber auch echte Diskussionen darüber im Parlament will. Im Donbas kann sich Swjatoslaw Wakartschuk keine Wahlen – und somit auch keinen Frieden - ohne vorgängige vollständige Kontrolle über die Grenze zu Russland vorstellen.

Swjatoslaw Wakartschuk Ukraine Rockstar Musiker
Swjatoslaw Wakartschuk - Fot. P. Flückiger

Von Paul Flückiger, Kiew

Das Interview beginnt mit einem Missverständnis. Man wolle kein Selfie mit dem Rockstar wird Swjetoslaw Wakartschuk mitgeteilt, doch der schmächtige Mittvierziger begibt sich sofort auf die andere Seite des Tisches, legt seine Hand auf die Schulter des Berichterstatters und lächelt in eine imaginäre Kamera. Das Missverständnis löst Gelächter aus, der Star und frisch gebackene Politiker lacht mit. Denn in der Tat sind es vor allem Portraits mit Fans seiner Rockgruppe «Okean Elzy», die Wakartschuk viel Geduld und Zeit abverlangen. Dabei hat der Leadsänger der in der ganzen ehemaligen Sowjetunion, darunter auch in Russland, beliebten Rockgruppe seine Musikerkarriere schon vor guter Jahresfrist mit dem ukrainischen Grundgesetz und den Statuten seiner eigenen Reformpartei «Golos» (Stimme) getauscht.

Zuerst wurde Wakartschuk als Präsidentschaftskandidat eines jungen Reformlagers gehandelt, das die Gangart von Petro Poroschenko als zu langsam und die Interessen der Oligarchen bewahrend empfand. Anfang Jahr erklärte Wakartschuk indes seinen Verzicht auf einen Start im Rennen um das Präsidentenamt, was dem später mit haushoher Mehrheit gewählten Amtsinhaber Wolodymyr Selenski in die Hände spielte, denn beide Entertainer sprachen teilweise dieselbe Wählergruppe an. Selenski hatte es besser verstanden, auch ostukrainische und einst Maidan-kritische Wähler für sich zu gewinnen, Wakartschuk war und ist immer noch vor allem in der Westukraine beliebt. 

Ins Parlament brachte seine Reformpartei «Golos» bei den Wahlen vom Sommer immerhin 20 Abgeordnete, darunter auffallend viele Juristen. «Wir sind gegen ein Eilzugsparlament, dass hastig und ohne Diskussion in den entsprechenden Kommissionen Gesetze des Präsidialamtes oder von Selenskis «Volksdiener»-Partei durchwinkt», sagt Wakartschuk im Gespräch am Rande des von der Pintschuk-Stiftung in Kiew organisierten Politikerforums, «Yalta European Strategy»-Forum (YES) genannt. Diese Rolle ist für «Golos» nicht einfach, denn mit 254 Abgordneten hat die erst im Sommer aus dem Boden gestampfte Präsidentenpartei «Volksdiener» (ukrainisch: «Sluha Narodu») die absolute Mehrheit im ukrainischen Einkammerparlament, der «Werchowna Rada». «Ich wünschte mir, sie würden öfter auf uns hören», klagt Wakartschuk im Gespräch. Schliesslich sei seine Partei viel professioneller und besser auf die Parlamentsarbeit vorbereitet als Selenskis bunt durcheinander gewürfelte Präsidentenpartei. Doch wie oft in Mittelosteuropa gilt auch in Kiew der Grundsatz, dass der Gewinner wenig Rücksicht auf die Verlierer nimmt. Selbst dann nicht, wenn die Ziele ähnlich sind. So hatte sich «Golos» immerhin im Vorfeld der Wahlen als Koalitionspartner der «Volksfreunde» positioniert, und es hatten immerhin bereits Vorgespräche stattgefunden. Am Ende allerdings war der Wahlsieg der Präsidentenpartei zu perfekt, um auf eine Koalition angewiesen zu sein.

Diesen Hochmut der «Volksfreunde» im Parlament sieht Wakartschuk allerdings auch in den vergangen 28 Jahren begründet, die immer wieder gezeigt hätten, dass sich korrupte Eliten auf bürokratische Regeln berufen und eigene Fehlleistungen damit entschuldigt hätten. Das habe den Glauben in die Institutionen erodiert. Dabei würde die «Volksdiener» in ihrem Tatendrang aber gerne vergessen, dass die Missachtung von parlamentarischen Regeln oder gar der Gewaltenteilung der Beginn eines Zerfallsprozesses der Staatlichkeit sei. «Das macht mir grosse Sorgen, denn Institutionen sind meiner Partei höchst wichtig», sagt Wakartschuk, der sich in den letzten Wochen immer mehr in die Rolle eines konstruktiven Oppositionsführers gebracht hat. Er unterscheidet sich darin von der alten Präsidentenpartei Petro Poroschenkos, die sich im Parlament und mit Strassenprotesten radikal und gegen Selenski stellt, aber auch von der pro-russischen Oppositionsfraktion gebildet aus Resten der vor dem Maidan regierenden «Partei der Regionen» des nach Russland geflüchteten ex-Präsidenten Wiktor Janukowitsch.

Wie Poroschenkos Leute macht sich jedoch auch Wakartschuk Sorgen um den grossen und wenig transparenten Einfluss des Oligarchen Ihor Kolomojski auf die Präsidentenpartei. Die Parlamentarier wüssten genauso wenig wie die Presse, die vom Staatspräsidenten ja immer noch eher gemieden würde. «Es ist nicht schwarz-weiss, sondern es gibt fünfzig Grautöne», fasst Wakartschuk sein eigenes Unbehagen zusammen. Noch sei der Vertrauensvorschuss der ukrainischen Gesellschaft sehr gross und damit auch der Optimismus in der Bevölkerung. Er fürchte aber, dass mittelfristig strategische Fehler im Selenski-Lager begangen werden könnten, die die Reformen aushebeln könnten. Deshalb sähe seine Partei «Golos» ihre Rolle «als Watchdog des gesamten Reformprozesses», sagt Wakartschuk.

Auch was den Donbas-Konflikt angeht, gibt sich Wakartschuk im Gespräch weit vorsichtiger als das Präsidentenlager. Die Ukraine müsse im Gespräch mit Russland eine klare rote Linie ziehen, fordert das Mitglied der Aussenpoltischen Kommission. Bedingung für strategische Kompromisse müsse die wiedererlangte Kontrolle Kiews über die gemeinsame Staatsgrenze mit Russland sein. Erst danach könnten Im Donbas Lokalwahlen nach ukrainischem Recht und unter OSZE-Aufsicht abgehalten werden. Russland allerdings wolle eine umgekehrte Reihenfolge – zuerst Wahlen und dann die Kontrolle über die Staatsgrenze im Donbas. «Für meine Partei ist das völlig unakzeptabel; wenn wir uns darauf einliessen, würden wir zu einer Erosion der ukrainischen Staatlichkeit beitragen», warnt Wakartschuk und vergleicht eine solche Auslegung der «Steinmeier-Formel» mit einer virenbefallenen Blutinfusion. Vor der Wiedererlangung der Kontrolle über die Grenze könne Kiew nur «technische Kompromisse» wie die Truppenentflechtung und Waffenstillstände eingehen.

Die über 400 Kilometer lange Grenze wird heute von den pro-russischen Kämpfern der beiden selbst ausgerufenen «Volksrepubliken» Luhansk und Donezk kontrolliert. Laut Angaben der OSZE-Beobachtermission wird über die Grenzübergänge wie vor allem auch die grüne Grenze nachts immer wieder Material von Russland nach Donbas und auch in umgekehrter Richtung transportiert. Allem Anschein nach handelt es sich dabei um Waffen und Soldaten. 

«Bisher sehe ich keine Kompromissbereitschaft bei den Russen», sagt Wakartschuk. Er sei deshalb nicht so optimistisch wie Selenski, der zu offensichtlich zu Kompromissen bereit sei, weil er Frieden wolle. Wakartschuk verweist in dem Gespräch auf eines seiner Lieblingslieder, «Imagine» von John Lennon,  fügt aber sofort an, Politiker dürften nicht träumen sondern müssten Lösungen auf reale Probleme finden. Doch “Realismus”, wie er immer wieder von Selenskis Regierungsmannschaft zitiert werde, dürfe nicht bedeuten, dass man sich immer weiter zurückziehe und neue Kompromisse mache. «Realismus für uns bedeutet, wir gehen einen Schritt zurück, dann gehen die Gegner einen Schritt zurück, und erst dann wir wieder», sagt Wakartschuk. Nur so könne das Projekt Frieden für Donbas funktionieren.

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