Brieffreundschaften polnischer
Computerfreaks im Westen standen am Anfang des Erfolgs. Eine grosse Zahl der heutigen
Superreichen in Polen haben ihre ersten Geschäftsschritte in der
Endphase des Kommunismus auf halblegalen Elektronikbörsen gemacht.
Einer von ihnen ist der Computerspiel-Mitbegründer Marcin Iwinski.
Paul Flückiger, Warschau (2013)
Es riecht immer noch ein wenig nach
Gründerzeit. Hinter einer Tankstelle an einer nördlichen
Ausfahrtstrasse Warschaus findet man nach einigem Suchen die in
Computerspielerkreisen weltbekannte Firma mit dem Namen „CD
Projekt“. Firmenmitinhaber Marek Iwinski empfängt in T-Shirt und
Turnschuhen und zieht gleich gegen Kopierschutzmassnahmen vom Leder.
„Der Computerspielfreund darf nicht wie ein potentieller
Krimineller behandelt werden“, wettert Iwinski, dessen letzter
Markthit „Witcher 2“ laut Schätzungen über vier Millionen Mal
illegal heruntergeladen wurde. Dennoch kann sich seine Firma eines
weltweiten Umsatzes von umgerechnet gut 50 Mio.
Franken rühmen. „Der polnische Markt geniert davon nur einen
kleinen Teil“, sagt Iwinski stolz in tadellosem Geschäftsenglisch.
Auf dem Regal des einem
Burgverlies nach empfundenen Besprechungsraums stehen Spielkartons in
verschiedenen Sprachen, darunter auch eine chinesische
Sammlerversion. Ein Stock höher wacht ein grimmiger Fantasy-Ritter
im Flur darüber, dass ja keine Einzelheiten der gerade konzipierten
dritten Folge vorzeitig an die Öffentlichkeit geraten. Noch etwa ein
Jahr müssen sich die Fans von Australien bis in den Vatikan
gedulden. Das Mittelalter-Spiel ist für seine erotischen
Abenteuermöglichkeiten bekannt. Die Figuren haben Gefühle und
durchleben moralische Dilemmata – eine Seltenheit auf diesem Markt.
Computersucht sowie
Briefkontakte in alle Welt haben Iwinski zum Erfolg verholfen. Das
Examen in die Informatikklasse habe er nicht geschafft, erzählt er
lachend, dafür aber mit seinem zufälligen Banknachbarn Ende der
Achtzigerjahre eine erste Untergrundfirma gegründet. Vor den
Geschäften standen die Polen stundenlang für Fleisch und Zucker an,
im Wohnzimmer der Eltern fieberte Iwinski derweil auf den nächsten
Umschlag mit 3,5 Zoll-Disketten aus den USA. Diese ersten auch
grafisch noch unbeholfenen Computerspiele wurden von den beiden
Gymnasiasten kopiert und dann auf einer noch heute legendären
Warschauer Elektronikbörse verhökert. „Schon damals gab es in
Polen genug Interessenten, die dafür ein Vermögen zahlen konnten“,
erklärt Iwinski, der heute tausendfach komplizierte
„Witcher“-Versionen für einen polnischen Tagesdurchschnittslohn
verkauft.
Damit hat er sich zusammen
mit seinem Geschäftspartner ein Millionenvermögen erworben. In der
gerade vom Nachrichtenmagazin „Wprost“ veröffentlichten Liste
der 100 reichsten Polen sucht man die beiden Computerfreaks aus der
grauen Zeit der sozialistischen Mangelwirtschaft vergebens, doch man
findet eine ganze Reihe ähnlicher Geschäftsbeispiele. Wenig
Startkapital, keine Verbindungen zur kommunistischen Nomenklatur,
dafür eine gute Idee gepaart mit Improvisationsgabe zeichnen die
meisten aus. Oligarchen aus dem alten Macht- und Sicherheitsapparat,
die etwa im EU-Staat Bulgarien oder in der Ukraine und Russland
ähnliche Listen beherrschen, bilden in Polen die Ausnahme. Sie
hätten auf jenen Flohmärkten mit manchen heutigen
Software-Millionären gestanden, erinnert sich Iwinski im Gespräch
fast wehmütig. „Geld ist unwichtig, aber wer ein gutes Spiel
kreiert, verdient genug davon“, kokettierte er heute auf einer
Internetseite der Spielerszene.
Selbst der polnischen
Regierung gilt der rebellische Iwinski mittlerweile als Wunderkind
der im Ausland noch wenig bekannten IT-Branche. „Neben Wodka und
Wurst sollte man endlich auch unsere Entwicklungen als polnische
Exportschlager anerkennen“, sagt der Vierzigjährige. In einem
Lagerschuppen einer japanischen Motorradvertretung hat sein „CD
Projekt“ 1994 mit polnischsprachigen Lizenzversionen bekannter
Computerspiele begonnen, heute steht hinter der Tankstelle ein
modernes Firmengebäude für über 200 Angestellte aus aller Welt.
Die Ausfahrtstrasse ist nach einem mittelalterlichen litauischen
Fürsten benannt. Das passt gut. Die Zeit im Fantasy-Burgverliess ist
um, Iwinski packt sein Smartphone und rennt mit entschuldigenden
Worten davon. Fast hätte er vergessen, seine Tochter von der
Primarschule abzuholen.
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