Der Absturz
der polnischen Präsidentenmaschine bei Smolensk hat das ganze Land
in Trauerzustand versetzt. Russische Quellen sprechen von einem
Fehler des Piloten. In Polen mehren sich derweil
Verschwörungstheorien.
Paul Flückiger,
Warschau (11.04.2010)
Hunderte von
Polen haben sich am späten Samstagabend zum gemeinsamen Totengebet
für die Opfer der Flugzeugkatastrophe von Smolensk auf dem
Warschauer Pilsudski-Platz, wenige Schritte Amtssitz des
Staatspräsidenten entfernt, versammelt. Die Bestürzung war überall
in Polen mit Händen zu greifen. Nachrichtenportale legten schon am
Mittag grauen Trauerflor an, Flaggen wehten auf Halbmast. Lech
Kaczynskis Präsidentenmaschine war kurz vor neun Uhr morgens beim
Landeanflug auf dem Militärflughafen von Smolensk im dichten Nebel
in einen Waldstück gestürzt. Von den 88 Passagieren und 8
Besatzungsmitgliedern überlebte keiner das Unglück.
Niederschmetternder
hätte die Symbolik von Kaczynskis grauenvollem Ende für die Polen
kaum sein können. Der Staatspräsident hatte sich selbst auf eine
Trauerreise begeben und war mit seinen engsten Mitarbeitern,
Spitzenpolitikern und Angehörigen von Opfern des Massakers von Katyn
vor 70 Jahren zu den Gedenkfeiern nach Westrussland unterwegs. Den
ganzen Samstag über zeigte das polnische Fernsehen die Trümmer der
zerborstenen Tupolew-154 in dem unzugänglichen Waldgebiet bei
Smolensk – wenige Kilometer entfernt von den Massengräbern, an
denen Kaczynski beten wollte.
Laut russischen
Quellen ist Kaczynskis Pilot an dem Unglück schuld. Statt sich an
die Empfehlungen der Fluglotsen zu halten und wegen des dichten
Nebels auf den weissrussischen Flughafen Minsk oder nach Moskau
auszuweichen, habe er die Landung auf dem Smolensker Militärflugplatz
versucht. Viermal habe er dazu angesetzt, heisst es. Dabei ist die
alterschwache Maschine offenbar mit einem Flügel an Bäumen hängen
geblieben und wenige Hundert Meter vor der Landepiste abgestürzt.
„Dieses
tragische, verfluchte Katyn“, kommentierte Kaczynskis Vorgänger
Aleksander Kwasniewski sichtlich bestürzt. Noch am Nachmittag machte
sich Kaczynskis geliebter Zwillingsbruder Jaroslaw auf den Weg zur
Unglückstelle. Wenig später flog Ministerpräsident Donald Tusk an
Bord einer eilends von der polnischen Fluggesellschaft LOT zur
Verfügung gestellten Westmaschine nach Smolensk.
Derweil machten
in Polen Verschwörungstheorien die Runde. So soll die Tupolew des
vom Kreml wegen seiner Freundschaft mit dem georgischen Amtskollegen
Michail Saakashvili verhassten Kaczynski erst im Dezember In Russland
überholt worden sein, wurde minutiös in Internetforen vermerkt.
„Dieses
Flugzug hätte nicht mehr fliegen dürfen“, kritisierte die
Stadtpräsidentin von Warschau, Hanna Gronkiewicz-Waltz, „bei
solchen Käufen sollte man nicht sparen“. Seit Jahren wird in Polen
über einen Ersatz für die altersschwache Regierungsflotte aus
Sowjetzeiten diskutiert, doch die wichtigsten Männer im Lande
fliegen immer noch im Tupolew um die Welt.
„Ein unglaubliches Unglück ist über uns herein gebrochen“,
sagte eine Marktsteherin im Stadtteil Praga. „Ausser Kaczynski
waren vor allem Dutzende von Intellektuellen in der Maschine“,
trauert sie. Über
den umstrittenen Präsidenten will in dieser Stunde niemand ein
schlechtes Wort verlieren.
Kaczynski
hatte sich mit seiner Nachträglichkeit und seiner Jagd auf
vermeintliche kommunistische Agenten in Polen viele Feinde
geschaffen. Im persönlichen Umgang allerdings erwies er sich oft als
erfrischend unprofessionell und ehrlich. Ein Gespräch mit der NZZ am
Sonntag nutzte er vor drei Jahren zu abschweifenden literarischen
Diskussionen und persönlichen Bemerkungen, wie sie sich in keinem
Interview eines Staatsmannes finden können. Seine Mitarbeiter
konnten sich unkompliziert für einen Platz im Präsidentenflugzeug
einsetzen, auch wenn die Passagierliste längst geschlossen war.
Regierungschef
Donald Tusk von der liberalen Bürgerplattform (PO), ein erbitterter
politischer Gegenspieler der Kaczynski-Zwillinge, soll bei der
Todesnachricht spontan in Tränen ausgebrochen sein. „So ein Drama
hat die heutige Welt noch nicht erlebt“, sagte er am Samstagmittag
um Fassung ringend. Parlamentspräsident Bronislaw Komorowski (PO)
übernahm noch am Samstagnachmittag, wie von der Verfassung
vorgesehen, interimistisch das Präsidentenamt. Innerhalb von zwei
Wochen muss er einen Nachwahltermin benennen. Die Präsidentenwahl
muss spätestens 60 Tage später stattfinden. Bisher galt
ausgerechnet er für die regulär im Herbst stattfindenden Wahlen als
Favorit. Lech Kaczynski gaben die meisten Umfragen keine Chance auf
die von den National-Konservativen angestrebte zweite Amtszeit.
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