Interview mit dem tschechischen
Aussenminister und Vaclav Havels einstigen Kanzleichef Karel
Schwarzenberg*
Paul Flückiger, Warschau (2011)
Paul Flückiger: Tausende haben diese Woche
Vaclav Havel auf der Prager Burg sein letztes Geleit gegeben und sich
im Kondolenzbuch eingetragen. Was bedeutet Havel den Tschechen?
Karel Schwarzenberg: Vaclav Havel hat
die Dissidentengruppe Charta77 und die verschiedenen
Wiederstandsformen koordiniert und zum Sieg über
das kommunistische Regime geführt. Mit der dadurch errungenen
Freiheit wurde Tschechien die Würde wieder zurück gegeben.
Vorher standen wir einem Unrechtsregime gegenüber, und niemand
wusste, wie sich zu wehren. Havel aber hat den Prozess des
Widerstandes erst in Bewegung gebracht. Schon allein das, gab uns
Tschechen Würde zurück.
- Viele Freiheitskämpfer wie
Havel haben sich später als ungeschickte Politiker entpuppt.
- Die Tätigkeit im
Widerstand erfordert Mut, Charakterfestigkeit, Idealismus und
Improvisationsgabe. All diese Eigenschaften sind in der Politik
weniger geschätzt. Da braucht es Geschmeidigkeit, Anpassung und
Parteizugehörigkeit. Deshalb scheiden viele ehemalige
Freiheitskämpfer verhältnismässig schnell aus der Politik aus.
Auch in Österreich und Deutschland sind viele, die aktiv gegen
Nationalsozialismus eingetreten waren in den Fünfzigerjahren wieder
aus der Politik ausgeschieden. Das ist leider so. Die Politik
verlangt einfach ganz andere Qualitäten als die Tätigkeit im
Widerstand. Das sind sehr verschiedene Tätigkeiten.
- Vaclav Havel aber wurde als
Präsident der Republik mehrmals wieder gewählt. Was machte ihn zu
solch einem guten Staatsmann?
- Vaclav Havel war eine
Ausnahmeerscheinung. Er war wirklich eine ausserordentliche
Persönlichkeit. Zudem war er einer der wenigen, die integrieren und
verschiedene Strömungen
zusammenführen konnte.
- Trotz dieser Popularität ist es
Havel nicht gelungen, den Tschecho-Slowakischen Föderationsstaat zu
retten, den die Mehrheit der Bevölkerung beibehalten wollte.
- Die Kooperation
innerhalb der Tschechisch-Slowakischen Föderation gestaltete sich
wegen der unglücklichen Verfassung entsetzlich mühsam. Nach der
Wahl von Vaclav Klaus in Tschechien und Vladimir Meciar in der
Slowakei im Jahre 1992 setzten sich zwei entgegengesetzte Konzepte in
den jeweiligen Teilstaaten durch. Und die Ministerpräsidenten der
beiden Teilrepubliken beschlossen, sich zu trennen – gegen den
Willen der Mehrheit der Bevölkerung beider Nationen, wie man nicht
vergessen darf.
- Havel konnte dem nichts
entgegenhalten?
- Die beiden
Republikführer waren demokratisch gewählt worden. Dazu hatten sie
je unterschiedliche Konzepte – Klaus war marktwirtschaftlich,
Meciar staatswirtschaftlich und nationalistisch gesinnt. Das waren
damals wichtige Trennungslinien. Havel konnte diesen Gang der
Trennung gar nicht beeinflussen, das wussten alle. Dieses Wissen
erleichterte ihm Anfang 1993 die Wiederwahl, diesmal als
tschechischer Präsident.
Havel
führte später sein Land konsequent in die Nato und in die
Europäische Union . Havel war ein überzeugter Europäer - und
Anhänger einer
starken transatlantischen Bindung.
- Ihre eigene Bekanntschaft mit
Havel beginnt aber viel früher, nämlich zwischen zwei
Gefängnisaufenthalten. Wie kam es dazu?
- Das war
Mitte der Achtzigerjahre. Wir waren schon vorher in Kontakt
und er hatte mir die Botschaft überbringen lassen, dass er sich mit
mir treffen wollte. Wir trafen uns in einem Prager Lokal, was die
Voraussetzung bot, dass das Gespräch nicht abgehört werden konnte.
Seine Wohnung wurde ja rund um die Uhr überwacht, jedes Wort wurde
aufgenommen. Wir beschlossen, dass wir uns von nun an regelmässig
treffen werden.
- Und so wurden Sie nach der
„Samten Revolution“ und Havels Wahl zum Staatspräsidenten sein
erster Kanzleichef?
- Zuerst war ich ein
gewöhnliches Mitglied seiner Kanzlei. Nach seiner Wahl am 29.
Dezember 1989 hatte man mich in dieses Gremium berufen. Ein halbes
Jahr später bestimmten mich die andern Kanzleimitglieder zum
Vorsitzenden.
- War Havel ein guter Chef?
- Mehr, er war ein
ausgezeichneter Chef! Einfach ein guter Vorgesetzter, einer, der
wusste, was er will. Ein höflicher Mensch, der seine Ansichten
hatte, sich aber auch Gegenmeinungen anhörte. Ich konnte mir keinen
besseren Chef vorstellen.
- Anfangs sollen in Havels
Amtssitz auf der Prager Burg spartanische Bedingungen geherrscht
haben?
- Auf der Prager Burg gab
es nur ein paar alte mechanische Schreibmaschinen, nicht einmal eine
elektrische war darunter. Und da es damals in Prag ja noch keine
Büromaschinen zu kaufen gab, habe ich Kopierer und Faxgeräte in
Wien oder Nürnberg eingekauft und mit meinem
Privatauto auf die Burg geschafft.
- Havel wird nachgesagt, er sei
ein sehr unkonventioneller Staatspräsident gewesen. Stimmt das?
- Genau! Und
Gott-sei-dank hat er dies nie verloren. Er blieb, wie er war. So lud
er etwa Frank Zappa ein, Kulturbotschafter für Tschechien zu werden.
Zappa hat uns dann tatsächlich sehr geholfen.
- Wie werden die Tschechen Havels
Tod verkraften?
- Ich hoffe, dass
sie sich nun endlich Vaclav Havel zum Vorbild nehmen - wegen seinem
Mut und einer Aufrichtigkeit. Er war ein grosser Mahner und
kritisierte seine
eigenen Schwächen und die seines
Volkes.
* Karel Fürst zu Schwarzenberg, der Außenminister Tschechiens, bekannte in der „Neuen Zürcher Zeitung“: „Ich bin noch immer stolzer Eidgenosse.“Dies ist er nicht nur im Geiste: Schwarzenberg hat auch einen Schweizer Pass. Sein Bürgerrecht geht auf Vorfahren zurück, die als Grafen von Sulz über den Klettgau zwischen Waldshut und Schaffhausen mit Zürich verbunden waren.
* Karel Fürst zu Schwarzenberg, der Außenminister Tschechiens, bekannte in der „Neuen Zürcher Zeitung“: „Ich bin noch immer stolzer Eidgenosse.“Dies ist er nicht nur im Geiste: Schwarzenberg hat auch einen Schweizer Pass. Sein Bürgerrecht geht auf Vorfahren zurück, die als Grafen von Sulz über den Klettgau zwischen Waldshut und Schaffhausen mit Zürich verbunden waren.
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