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Mit Jesus aus Warschau im Cafe

Viele Polen stimmen sich mit Passionsspielen auf Ostern ein. Eine Reportage aus dem Warschauer Vorstädtchen Gora Kalwaria.




Paul Flückiger, Warschau (2013)

Jesus sitzt schon da. Er hat sich einen Cafe Latte bestellt und lächelt zufrieden. Der Bart sitzt immer noch gut, doch die langen Haare fehlen. „Das war doch eine Perücke“, lacht Jerzy Janiszewski. Vor drei Jahren hat im Warschauer Vorstädtchen Gora Kalwaria beim Osterpassionsspiel die Jesus-Rolle übernommen. Dutzende von Passionsspiele mussten dieses Jahr wegen Schnee und Stürmen abgesagt werden müssen. „Stattdessen fälschten wir die Geschichte etwas und traten alle in warmen Schuhen auf“, erklärt der junge Laiendarsteller.

Die Inszenierung der letzten Lebensstunden von Jesus Christus hat in Polen lange Tradition. Im 17. und 18. Jahrhundert wurden in Polen auf Hügeln ganze Städtchen nach dem Vorbild Jerusalems errichtet. Auch Gora Kalwaria, zu deutsch Golgota-Hügel, gehörte dazu. Nach über 200 Jahren Pause wurde dort das Osterpassionsspiel erst kürzlich auf Initiative eines Ordensbruders wieder eingeführt. Dieses Jahr hat das Spektakel viel Furore gemacht – nicht zuletzt dank Jesus-Darsteller Janiszewski.

„Ich mag ein guter Jesus sein, aber was bedeutet das schon?“, sagt der junge Mann und fährt sich nachdenklich durch den Bart. Janiszewski, der unter der Woche als Jugendsozialarbeiter sein täglich Brot verdient, erzählt nun von der Versuchung der Hochmut, die dieses Lob mit sich bringe, aber auch von dem tiefen Glaubenserlebnis, das ihm diese Rolle schenke. „Die Rolle ist ein Geschenk, das mir erlaubt, Jesus ein klein bisschen besser zu verstehen“, sagt er. Zugetragen wurde ihm die Rolle just als sich der atheistisch erzogene Sozialarbeiter auf die Taufe vorbereitete. „Der Abt des Klosters von Gora Kalwaria suchte erst einen Ersatz-Jesus“, erzählt er. Dieses Jahr trat Janiszewski zum zweiten Mal als vollamtlicher Jesus auf. 

Mit Schwierigkeiten verbunden sei immer Besetzung der Negativfiguren wie Pilatus, Judas oder der Pharisäer erzählt Lukasz Glodek, der Regisseur des Passionsspiels von Gora Kalwaria am Telefon. „Ein Passionsspiel stärkt sowohl bei den Darstellern wie Zuschauern den Glauben“, sagt Glodek, der vorgängig drei Monate jedes Wochenende mit seinen weltlichen und geistlichen Laiendarstellern probt. 

Für das Gelingen der Aufführung beten in Gora Kalwaria jedes Jahr Dutzende von Gläubigen und lokale Ordensleute. Diese Gebete hülfen ihm sehr, meint der junge Jesus-Darsteller Janiszewski. „Ich versuche immer, mich einzig auf die Schauspielerei zu konzentrieren, aber dies ist eben kein normales Theaterstück“, verrät er. Dann schweigt Jesus lange und rührt gedankenverloren in seinem Cafe Latte herum. 

Diese kurze Reportage ist im März 2013 in der NZZaS erschienen.

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