Mit seinen Hilfspaketen für arme Familien
ist der Obdachlose Mikolaj (Nikolaus) landesweit berühmt geworden. Doch heuer
ist der Warschauer Samichlaus ohne Kutte.
Fot. M. Graczyk
Paul Flückiger, Warschau (2009)
Egal was passiere, seinen Mitmenschen
helfen könne man immer, sagt der Mann im grauen Rauschebart. Ein blaues
Stirnband hält seine Mähne zusammen, wenn er ruhigen Schrittes zwischen den
geschäftigen Reisenden auf dem Warschauer Zentralbahnhof hin und her geht und
für das Obdachlosenmagazin „Wspak“ („umgekehrt“) wirbt. Sein Portrait in der
roten Nikolauskutte ziert das Verkaufstischchen, heute jedoch trägt Mikolaj
(Nikolaus) nur einen langen grauen Mantel.
Dutzende von Kinderbriefen aus ganz Polen
erhält der als „Mikolaj Warszawski“, also Warschauer Samichlaus, bekannte
Obdachlose täglich an die speziell für ihn eingerichtete Postadresse. Der
76-jährige Wohltäter heisst mit bürgerlichem Namen ganz anders, doch jenen
Lebensabschnitt hat er längst beiseite geschoben. „Ich war schon immer sehr
sensibel, zu empfindsam für gewisse Schicksalsschläge in meinem Leben“, sagt
Mikolaj und winkt ab. Nach einer bitteren Niederlage habe er sich entschlossen,
künftig abseits seiner Familie zu leben.
Oft könne er die heutigen hochgeschraubten
Kinderwünsche nicht erfüllen, sei er doch selber ein armer Mann, bedauert
Mikolaj. „Für ein Paket pro Tag an die Bedürftigsten hat es aber noch immer
gereicht“, sagt er und seine Augen glänzen wieder. Er sei eben in einer Zeit
grosser Solidarität aufgewachsen - während des Krieges in Ostpolen, danach als
Jugendlicher bei den Pfadfindern. Seinen Pfadfinderschwur „Jeden Tag eine gute
Tat“ habe er immer ernst genommen, auch vor der Wende als er noch als Kultur-
und Sportanimateur arbeitete.
Vor zehn Jahren hatte Mikolaj damit
begonnen, systematisch Lebensmittel, Kleider und Spielzeug zu sammeln und an
bedürftige Familien zu verschicken. Und zwar übers ganze Jahr hinweg, nicht nur
vor Weihnachten. Frühmorgens sammelte er Aludosen, nachmittags brachte er seine
Pakete auf die Post. Statt das mit Altmetallsammeln verdiente Geld wie die
meisten im Obdachlosenheim in Alkohol zu investieren, kaufte er Süssigkeiten
für seine Hilfspakete. Die Aktion sprach sich herum, eine Stiftung richtete dem
Warschauer Obdachlosen-Samichlaus vor zwei Jahren eine Homepage ein, Freunde
besorgten ihm ein Zimmer. Heute hat der Mann ein Handy und wenn immer möglich,
diktiert er gleich eine Adresse, wohin man direkt ein Paket schicken könnte.
„In den zehn Jahren habe ich 1500 Adressen gesammelt“, sagt Mikolaj stolz.
Doch der Erfolg hat seinen Preis.
Sorgenfalten legen sich über sein Gesicht: Trotz der Unterstützung von Freunden
und Altpfadfindern komme er dieses Jahr nicht mehr nach mit dem Paketversand.
Normalerweise habe er ab Anfang November drei 15-Kilogramm-Pakete täglich zur
Post gebracht, nun schaffe er meist nur noch eines. Das sei zwar schwer, aber
bei diesem Gewicht biete die Polnische Post das beste
Preis-Leistungs-Verhältnis, rechnet Mikolaj vor. Er sollte sich nun eigentlich
aufmachen und den andern Kindern zumindest zurückschreiben, erklärt Mikolaj
abrupt und klagt über Augen- und Konzentrationsprobleme.
Begonnen hatte alles mit einem Einbruch in
sein Klausenlager im Herbst. „Selbst die Samichlaus-Kutte haben sie mir
gestohlen!“ Zu allem Unglück habe ihm der Arzt beschieden, er müsste dringend
seinen Leistenbruch operieren lassen. Zugezogen hatte sich Mikolaj diesen beim
Pakettragen, nachdem später auch noch sein Handwagen geklaut worden war. „Der
war aus Aluminium, das war mein Fehler“, meint er und referiert die aktuellen
Preise der Warschauer Altmetallaufkaufstellen.
„Noch letztes Jahr hatte ich Pausbacken,
nun leide ich unter Appetit- und Schlafmangel“, klagt Mikolaj und sinkt auf dem
harten Platicstuhl im Bahnsteigwartesaal zusammen. Dann allerdings packt ihn die Unruhe: „Ich
weiss genau, was es für die Kinder bedeutet, auf ein Zeichen vom Samichlaus zu
warten“, sagt er und steht entschlossen auf. „Das war mein Leben – das hat mir
Kraft gegeben“.
Diese Reportage ist im Dezember 2009 in der NZZaS erschienen.
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