Dieses Wort gab es damals in meinen Wörterbüchern nicht. Und doch
hat es mein Leben verändert. Sechs oft gebrauchte Buchstaben, in einer
einfachen Kombination angeordnet - «Streik». Auf Polnisch auch ähnlich - strajk. Ein Arbeiterstreik in einem
Land, das verfassungsgemäss den Arbeitern und Bauern gehört?! Lange wollten die
polnischen Kommunisten den Streik nicht wahrnehmen, noch länger - nicht
preisgeben. Zuerst sprachen sie von «Arbeitspausen», in der Hoffnung, dass
sechzig Tonnen zusätzliches Fleisch die Versorgung in Danzig verbessern und den
Zorn mildern würden. Vergeblich.
Da kam nämlich noch ein anderes Wort hinzu, das zwar nicht unbekannt war,
aber nicht besonders geläufig. Elf Buchstaben, in melodische Silben
gebunden - «Solidarität». Auf Polnisch ein bisschen schwieriger - solidarność. Die Kehlen der Genossen in
Warschau und Moskau waren mit diesen Tönen überfordert. Zu Recht.
Die Arbeiter der Danziger Werft haben 1980 ihre Gewerkschaft, die erste
unabhängige in einem kommunistischen Land, «Solidarność» genannt. Ihr
Logo, erklärte sein Erfinder, Jerzy Janiszewski, sollte eine Ähnlichkeit unterstreichen:
«Die Buchstaben dieses Wortes sollten sich gegenseitig so stützen, wie die
Menschen sich solidarisch in der Menge unterstützten.» So war es auch. Zehn
Millionen Polen, fast ein Drittel der Bevölkerung, gaben sich die Hand und
zwangen das kommunistische Regime in die Knie.
Der britische
Historiker und Polen-Kenner Norman Davies erklärt das Phänomen mit einem
entsprechenden Momentum: «Es gibt Hunderte von Momenten in der Geschichte, wenn
eine kleine Gruppe kämpft und nichts daraus resultiert. Damals, im August 1980,
war das wirklich ein richtiger Moment. Und eine tapfere Aktion einer kleinen
Gruppe mobilisierte Millionen.» Davies weist auch auf die Rolle des kürzlich
verstorbenen Papstes, Johannes Paul II., hin. Sein erster Besuch in der Heimat
im Jahre 1979 sei ein Schlüsselmoment gewesen. Er habe die Psyche des ganzen
Volkes geändert, so der Historiker. Die Polen fanden damals ihre Stärke wieder.
«Die Fabriken
stehen still», schrieben die regimetreuen Journalisten. Ihre Schreibmaschinen
brachten das Wort strajk nicht zustande. «Antisozialistische Elemente
destabilisieren Polen», zeterten die Machthabenden. Ihre Augen und Ohren konnten das Wort solidarność nicht ertragen. Und
in der Luft schwebte schon ein anderes, für viele im Westen schon zu
selbstverständliches Wort. Acht banale Buchstaben, die «Freiheit» bedeuten. Auf
Polnisch klingen sie immer noch pathetisch - wolność.
Betäubt von den
neuen Wörtern, haben wir damals, vor 25 Jahren, einen Knall überhört. Der erste
Stein aus der Berliner Mauer war herausgebrochen.
Maria Graczyk
* Diese Glosse ist am 25. August
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