Vor 70 Jahren kämpften ausgemergelte Warschauer Ghetto-Bewohner 29 Tage lang gegen eine SS- Übermacht.
Fot. Wikipedia.pl
Paul Flückiger,
Warschau
„Das war
von Anfang an ein verlorener Kampf“, sagt Marek Edelmann, einer der Gründer der
Jüdischen Kampf-Organisation (ZOB). 29 Tage lang kämpften ZOB und ihre ebenso
schlecht bewaffneten Kameraden des Bundes Jüdischer Soldaten (ZZW) gegen die
schwerbewaffneten SS-Truppen, die rechtzeitig zu Hitlers Geburtstag das
Warschauer Ghetto liquidieren sollten. „Wir hatten
eine grosse, kindliche Fantasie“, erklärte Edelmann, einer der Anführer
des Ghetto-Aufstandes ein paar Jahre vor seinem Tod im persönlichen Gespräch. „Wer wie ich 21 Jahre alt war, war schon alter Mann“, meinte
er.
Die jungen, jüdischen
Aufständischen hatten sich monatelang auf diesen Akt des Widerstands
vorbereitet. Bereits Ende Juli 1942 war der ZOB von mehreren zionistischen und
sozialistischen Jugendorganisationen als Reaktion auf die geplante Liquidierung
der Ghettos im Generalgouvernement („Aktion Reinhard“) gegründet worden. Rund
60 000 Menschen, von einst von über 400 000 lebten im April 1943 noch im
Ghetto. Die jungen jüdischen Freiwilligen hatten in den Monaten zuvor Kontakt
mit dem polnischen Untergrund, vor allem der Heimatarmee (AK) sowie linken
Widerstandsbewegungen aufgenommen und damit begonnen, Waffen von der
sogenannten arischen Seite her ins Ghetto zu schmuggeln. Dabei sei vor allem
die Liebe zum Geld unter den deutschen Polizeikräften ausgenutzt worden, erinnert
sich Edelmann. „Für Geld konnte man alles kaufen“,
erklärte Edelmann weit über 60 Jahre nach dem Ghettoaufstand in seiner Wohnung
in Lodz (Lodsch). Ab Herbst 1942 wurden heimlich Bunker und Tunnels
angelegt, ZOB und ZZW richteten in den Dachstöcken der Häuser einiger
ausgewählter Strassen Widerstandsnester ein, von denen aus die Nazis
überraschend beschossen werden sollten. Zu einer ersten bewaffneten Aktion kam
es Ende Januar 1942. Die überraschten SS-Truppen legten die Liquidierung des
Ghettos für einige Tage aufs Eis. Die ZOB verteilte Flugblätter: „Die
Schicksalsstunde naht: Wir müssen bereit sein für den Widerstand! Wir können
uns nicht wie Schafe auf die Schlachtbank führen lassen!“, hiess es darin.
Am 19. April
1943, am Vorabend des jüdischen Pesachfests, wollten rund 850 SS-Soldaten zur
letzten grossen Deportation im Ghetto schreiten. Rund 60 000 von Hunger und
Krankheiten gezeichnete Juden lebten noch in dem Bezirk, der bereits im
November 1940 mit einer streng bewachten Mauer umgeben worden war. In der
Nalewki-Strasse wurden sie plötzlich mit einem Kugelhagel empfangen. Zwei
Stunden dauerte dieser erste Kampf, und er endete mit einem vorübergehenden
Rückzug der SS. „Dies war der erste Stein, der aus der faschistischen Mauer
herausgebrochen wurde“, kommentierte Marek Edelmann im Gespräch. Erst nach dem
jüdischen Aufstand im Ghetto hätten sich auch andere Zivilisten in Polen gegen
die Nazis erhoben, erst danach sei in ganz Europa eine Partisanenbewegung
entstanden, so Edelmann.
Wenige Stunden
später griffen die Deutschen unter neuer Führung unterstützt von Panzerwagen
wieder an. In einem verzweifelten Kampf leisteten ihnen die zumeist sehr jungen
jüdischen Aufständischen bis zum 16. Mai erbitterten Widerstand. Die Nazis
gewannen erst nach rund einer Woche die Oberhand, nachdem
sie damit begonnen hatten, Haus um Haus niederzubrennen und dem Erdboden gleich
zu machen.
Viele Polen
beobachteten den ungleichen Kampf etwa vom Karussel auf dem Vergnügungspark am
Krasinski-Platz aus. Von dort aus habe man dicke Rauchsäulen aus dem Ghetto
aufsteigen gesehen, berichten Augenzeugen. Allerdings haben manche Polen den
kämpfenden Juden auch geholfen. Laut Kazik Ratajzer, einem der letzten
Überlebenden des Aufstandes, der aus Israel anreisend am Freitag zu den Gedenkfeiern
erwartet wird, hatte die polnische Heimatarmee (AK) 50 Pistolen geschickt.
Weitere fünf Pistolen habe die kommunistische „Armia Ludowa“ (AL) geschickt,
erinnern sich Edelmann und Ratajzer in einem kürzlich in Polen publizierten
Gespräch. Auf Hilfeleistungen zugunsten der Juden drohte die standrechtliche
Erschiessung durch die rund 20000 in Warschau stationierten deutschen
Wehrmachtssoldaten. „Wir hatten keine Hilfe von der
andern Seite der Mauer“, klagte Edelmann bei einem persönlichen Treffen vor ein
paar Jahren. „Gut, wir hatten ein paar Gewehre von der polnischen
Untergrundbewegung bekommen, aber wir sind allein gewesen“, sagte er. Die
AK-Führung hielt den Aufstand für verfrüht und militärisch sinnlos.
Bereits nach
wenigern Tagen Kampf retteten sich die ZZW-Kämpfer durch die Abwasserkanäle auf
die arische Seite. Die ZOB blieb alleine im Ghetto zurück, doch die anfangs
rund 750 ZOB-Kämpfer konnten die Deutschen nicht mehr aufhalten. Am 8. Mai 1943
eroberten die SS-Einheiten den Führungsbunker der Aufständischen an der
Mila-Strasse 18. Der ZOB-Führungsstab unter Mordechai Anielewicz hatte kurz
zuvor kollektiven Selbstmord begannen. Die letzten ZOB-Verbände zogen sich in
den folgenden Tagen durch die Abwasserkanäle ins arische Warschau zurück - darunter
auch Marek Edelmann. Etwa 70 ZOB-Kämpfer konnten sich so retten. Dutzende von
ihnen kämpften ein gutes Jahr später im Warschauer Aufstand von 1944. Einige
der überlebenden Kämpfer hatten sich bereits im Sommer 1943 polnischen
Partisanen der AK und anderer Gruppen angeschlossen, ein paar wenige wurden von
ihnen bei diesem Ansinnen jedoch umgebracht.
Dieser Text ist im April 2013 in Der Presse erschienen.
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