Eine Glosse aus der Zeit, als die Grenzen in Europa noch nicht geändert wurden...
Fot. Maria Graczyk
In den letzten Jahren hat der Name dieses Ortes für mich immer harmloser zu klingen begonnen. Seit ein paar Wochen assoziiere ich ihn sogar mit Palmen, netten Menschen und Sonne. Ist das der «Vergangenheitsbewältigung» oder dem Tourismus zu verdanken? Die Krimtataren nannten ihn Dschalita, vom griechischen «Jalos», Ufer. Dann, Ende des 18. Jahrhunderts, kamen die Russen, und sie bauten die aus dreizehn Häusern bestehende Siedlung in ein schönes Städtchen aus. Es erhielt den Namen Jalta.
Für die Russen wurde die
Ortschaft zum aparten Kurort, und für uns Polen, Tschechen, Ungarn wie für die
anderen Völker hinter dem Eisernen Vorhang - zum Symbol des Verrats. In meiner
Schulzeit war Stalin in Polen schon passé, Roosevelt hingegen ganz in Ordnung.
Nach dem Präsidenten der feindlichen, weil imperialistischen Vereinigten
Staaten war in Poznan (Posen), meiner Heimatstadt, eine der Hauptstrassen
benannt. Wieso eigentlich?! Frau Professor Dederko, unsere Geschichtslehrerin,
verriegelte einmal die Klassentür von innen und schrie flüsternd: «Er stimmte
der Teilung Europas zu. Verriet uns in Jalta!» Das «Säuseln» dieser Worte hatte
ich lange in den Ohren. Allmählich wird es vom Meeresrauschen verdrängt.
«Und, geht es euch jetzt besser ohne uns?» - fragten mich auf der Lenin-Strandpromenade in Jalta zwei Russinnen. Ich schaffte es nicht, ihnen zu antworten, denn eine vorbeigehende Ukrainerin war schneller: «Natürlich, geht es ihnen besser! Und uns auch. Wir müssen keine Söhne nach Tschetschenien schicken.» Die Russinnen entfernten sich wortlos.
Wortlos gingen auch russische Touristen durch den Zarenpalast in Livadia (Liwadija), einem Vorort von Jalta. Mit stillem Interesse besichtigten sie die historischen Räume, in denen 1945 über die Einflusssphären entschieden wurde. Ruhig schauten sie sich auch die Memorabilien von Nikolai II., dem russischen Zaren an. Sie blühten erst auf, nachdem sie das Museum verlassen hatten - da, wo man die prachtvollen, der Epoche nachempfundenen Kleider gegen Entgelt anprobieren durfte. Nur ein kleines Mädchen schien vom Schicksal der Romanows beeindruckt zu sein. Es fragte die Mutter: «Warum wurden sie denn erschossen?» Statt einer Antwort bekam die Tochter moroschiennoje, ein Eis.
«Mein Grossvater wäre
glücklich, die ehemaligen Verbündeten zusammen als Teil des Vereinigten Europa
zu sehen», sagte Winston S. Churchill im Gespräch über die Konferenz von
Jalta. Ähnlicher Meinung war Curtis Roosevelt, der Grossenkel von Franklin
Delano. Nur Jewgeni Dschugaschwili war skeptisch: «Was können wir denn jetzt!?
Wir haben keinen Einfluss. Wir können uns nur treffen und plauschen.» Die
Nachkommen des «Grossen Triumvirats» begegneten sich kürzlich in Maastricht.
Ein Ortsname, dessen Bedeutung für unsere Nachkommen von uns abhängt. Oder irre
ich mich?
Fot. Maria Graczyk
In den letzten Jahren hat der Name dieses Ortes für mich immer harmloser zu klingen begonnen. Seit ein paar Wochen assoziiere ich ihn sogar mit Palmen, netten Menschen und Sonne. Ist das der «Vergangenheitsbewältigung» oder dem Tourismus zu verdanken? Die Krimtataren nannten ihn Dschalita, vom griechischen «Jalos», Ufer. Dann, Ende des 18. Jahrhunderts, kamen die Russen, und sie bauten die aus dreizehn Häusern bestehende Siedlung in ein schönes Städtchen aus. Es erhielt den Namen Jalta.
«Und, geht es euch jetzt besser ohne uns?» - fragten mich auf der Lenin-Strandpromenade in Jalta zwei Russinnen. Ich schaffte es nicht, ihnen zu antworten, denn eine vorbeigehende Ukrainerin war schneller: «Natürlich, geht es ihnen besser! Und uns auch. Wir müssen keine Söhne nach Tschetschenien schicken.» Die Russinnen entfernten sich wortlos.
Wortlos gingen auch russische Touristen durch den Zarenpalast in Livadia (Liwadija), einem Vorort von Jalta. Mit stillem Interesse besichtigten sie die historischen Räume, in denen 1945 über die Einflusssphären entschieden wurde. Ruhig schauten sie sich auch die Memorabilien von Nikolai II., dem russischen Zaren an. Sie blühten erst auf, nachdem sie das Museum verlassen hatten - da, wo man die prachtvollen, der Epoche nachempfundenen Kleider gegen Entgelt anprobieren durfte. Nur ein kleines Mädchen schien vom Schicksal der Romanows beeindruckt zu sein. Es fragte die Mutter: «Warum wurden sie denn erschossen?» Statt einer Antwort bekam die Tochter moroschiennoje, ein Eis.
Maria Graczyk
* Diese Glosse ist in der NZZ am 9.11.2005 erschienen.
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